Spätestens seit der US-Wahl ist die Kommunikationsbranche in Europa in einem Dilemma: Die Hälfte unserer Werbebudgets fließt in amerikanische und chinesische Social-Media-Plattformen, die geeint hinter Trump stehen, in Person von Elon Musk (CEO X, SpaceX, Tesla), Mark Zuckerberg (CEO Meta), Sundar Pichai (CEO Google) und Shou Zi Chew (CEO TikTok) bei der Inauguration am 20. Januar 2025 in Washington. Trump hat Europa zum „Feind“ erklärt und Meta hat schon im Vorfeld der Feierlichkeiten das Fact-Checking eingestellt.
„Only the AfD can save Germany“, verbreitet Elon Musk mit Mega-Reichweite über seinen Channel X, gibt Alice Weidel ein Interview, das Millionen Nutzer*innen gesehen haben und pusht die Narrative der als rechtsextrem eingestuften Partei. Aber auch auf TikTok und den Meta-Plattformen werden verstärkt die Narrative der Extremen verbreitet. Das sieht man schon allein an den Followerzahlen der Parteien auf Social Media. In Berlin hatte am 27. Januar 2025 die AfD doppelt so viele Follower auf Social Media wie die zweitplatzierte SPD. In Brandenburg hat sie mehr Follower als alle anderen Parteien zusammen. Eine Studie beweist die Parteilichkeit der Plattform X.
Andere Länder schützen sich: TikTok-Eigner Byte Dance ist unter strenger Kontrolle der kommunistischen Partei (und einiger, überwiegend amerikanischer Fonds). China lässt keine ausländischen Social-Media-Kanäle zu, kein YouTube, kein Instagram, nicht einmal Wikipedia. China hat sich abgeschottet und bespielt seine 1,4 Milliarden Menschen komplett autark.
In Indien ist TikTok verboten, in Amerika wurde TikTok ebenfalls verboten, nach „Vermittlung“ durch Donald Trump ist es wieder online (allerdings ohne Trump-kritische Inhalte). Auch in Europa fühlt sich TikTok seit einigen Wochen „gereinigt“ an. Spannende amerikanische Inhalte und TikToker wurden entfernt. Einige haben sich vorsorglich verabschiedet.
Auch die Deutschen wissen um die Macht von Social Media und ihren Gefahren durch Fake News. Die Bertelsmann-Stiftung hat herausgefunden, dass die Mehrheit der Deutschen Fake News als erhebliches Risiko für die Demokratie einstuft. Aber Europa lässt sich von allen Seiten bespielen und wird so zum Spielball fremder Mächte. Europa ist nicht souverän, solange es seine 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger von Social Networks mit europafeindlicher Agenda bespielen lässt.
Die Werbebranche füttert das Biest mit jährlich 12,8 Milliarden Euro. Wir alle, die wir auf Insta, Facebook oder gar X posten, füttern das Biest. Firmen, Unternehmen, öffentliche Auftraggeber, Parteien, die auf den Social-Media-Plattformen kommunizieren und werben, geben im Grunde Geld aus, um die Demokratie und damit unsere Grundlage für unsere freie Gesellschaft und soziale Marktwirtschaft zu gefährden. Früher haben Werbeausgaben maßgeblich dazu beigetragen, journalistische Inhalte zu fördern. Werbung bezahlt etwa 2/3 eines journalistisch gut gemachten Magazins, wie den Spiegel oder Stern. Recherche kostet Arbeitszeit und Geld. Auch die Schaffung eines guten hochwertigen Umfelds im Fernsehen kostet Geld. Heute fließen 50 % der Werbeausgaben in die Taschen von Musk, Zuckerberg, Pichai von Google und anderer Tech-Milliardäre. Die Umfelder liefern wir und unsere Medien ihnen quasi kostenlos dazu. Stern, Spiegel, Tagesschau, Tagesspiegel, Deutschlandradio werfen hart erarbeitete journalistische Inhalte auf Social Media – und werden mit ein wenig Reichweite und minimaler Sichtbarkeit abgespeist. Wir werfen unsere Urlaubsfotos hinterher. So bewirkt eine Initiative für Demokratie durch ihre möglicherweise sogar bezahlte Präsenz auf amerikanischen und chinesischen Social-Media-Plattformen eigentlich das Gegenteil.
Was können wir tun? Wir können zuerst die Wichtigkeit des Themas verstehen. Wir müssen die Gefahr erkennen, in der sich unsere Demokratie befindet. Wir müssen die Agenda amerikanischer und chinesischer Social-Media-Plattformen erkennen und durchkreuzen. Wir sollten bei unseren Kunden darauf hinweisen, dass amerikanische und chinesische Plattformen bedenklich sind. Wir können die EU auffordern, die Plattformen zu kontrollieren und verantwortlich zu machen für die Inhalte, die sie ausspielen. Wir können nach Alternativen suchen und sie unseren Kunden empfehlen, z. B. Open-Source-Anwendungen wie Mastodon, Pixelfed oder das europäische TikTok Loops.video. Wir können Druck auf die Regierung aufbauen, das Thema „Europäisches Soziales Netzwerk“ anzugehen und zu fördern. Wir müssen reden. Nicht in den sozialen Medien, sondern über sie. Die Kommentarfunktion ist offen.
Björn Staschen, Autor, Journalist und Mitinitiator „Save Social“ rät: „Die Debatte über bessere digitale Netzwerke gehört in die Mitte unserer Gesellschaft. Eine Plakatwand mitten in Berlin ist ein großartiges Symbol dafür – und ein Zeichen, dass wir nur gemeinsam mit vielen Mitstreitenden aus Wirtschaft, Kultur, Journalismus und Gesellschaft unabhängige digitale Debattenorte besser machen können.“
Johannes Meissner, Gründer und Kreationschef glow: „Wir müssen Social Media demaskieren und die Agenda der Plattform-Algorithmen entlarven. Wir brauchen eine offene Diskussion über Alternativen oder darüber, wie man die Macht der Plattformen eindämmt, sodass sie unserer Demokratie nicht schaden.“
Sebastian Wilke, Geschäftsführer Beratung bei glow: „Noch vor kurzem hat die Werbebranche eine unabhängige und freie Presse mitfinanziert. Jetzt geht das Geld an Demokratie gefährdende Medien-Oligarchien. Darüber müssen wir sprechen.“
